Essays zu Hoppes Texten

„Aber es ist nichts erlogen, ich habe alles ehrlich erfunden, …“

Über Hoppes Pigafetta

Von Juliane Horn

Hoppes erster Roman Pigafetta (1999) skizziert die Schiffsreise einer namenlosen Erzählerin. Er gliedert sich in 9 Kapitel, denen jeweils eine ‚Nacht‘-Erzählung vorangestellt wird. Ein stringenter Zusammenhang der Schifferzählung ergibt sich jedoch nur in den der Nächte nachfolgenden Kapiteln. Die Nächte fungieren als eine ‚externe‘ Erzählung, die an romantische Werke wie Bonaventuras Nachtwachen oder E.T.A. Hoffmanns Der goldene Topf  (Vigilien = Nachtwachen) erinnert (KLG, S. 5). Es bleibt allerdings im Unklaren, worüber die Nächte konkret handeln: Zum einen könnte es sich um eine Vor- oder Nachgeschichte der Erzählerin selbst handeln, da es Überscheidungen zwischen dem Inhalt der Nächte und dem Inhalt auf dem Schiff gibt (Stichwort: Generalkapitän). Dem widerspräche allerdings, dass die Erzählinstanz der Nächte als „mein Sohn“ (S. 45) charakterisiert wird. Daher erhärtet sich der Verdacht, dass es sich zum anderen auch um die Geschichte Pigafettas handeln könnte. Die Schiffsreise der Erzählerin könnte demnach als postmodernes Zitat der Reise Pigefattas verstanden werden.

Pigafetta ist selbst als eine Art fiktive und narrative Instanz auf dem Schiff anwesend. Historisch betrachtet, handelt es sich bei Pigafetta um den italienischen Chronisten Antonio Pigafetta (um 1480-1534), der einst mit Magellan die Welt umsegelte. Mit Magellan um die Erde heißt das Buch, in welchem er seine Erfahrungen der Reise niederschrieb (die Neuauflage wurde von Felicitas Hoppe selbst rezensiert) und welches als Paratext für Hoppes Roman fungiert (Parallelen finden sich unter anderem im Tod des Generalkapitäns, dem Streit zweier Bootsmänner über eine Ratte und der Einsicht, dass man einen Tag verliert, wenn man die Erde in Richtung Westen umrundet). Neben diesem finden sich auch zahlreiche andere intertextuelle Verweise wie beispielsweise auf die Bibel und den Motivkomplex von Jonas im Walfischbauch oder der Arche Noah. Diese Anspielungen erheben allerdings mehr spielerischen Charakter, da sie wie Spuren im Sand ins Leere führen. Ebenso irritierend mutet Hoppes Syntax an, die bestimmte Erwartungshaltungen hervorruft, um dann in eine ganz andere, sinnentstellte Richtung zu führen.

Motivisch betrachtet, finden sich auch hier anonymisierte und funktionalisierte Personen wieder (Kapitän, Geograph, Pfirsichzüchter, Offizier, Klempner). Nur einige wenige wie in etwa Nobell, Canossa oder die Happolatis werden konkret benannt. Passend dazu klingt auch das Motiv der Maskierung oder der Verkleidung wieder an: Die Erzählerin selbst ist es, die sich nach Aussage Nobells doch endlich ein Kleid anziehen soll (u.a. S. 39). Das Kleid als Ver-Kleidung verweist dabei auf den Verlust des eigenen Selbst auf solch einer Schiffsreise, die ebenso als Lebensreise begriffen werden kann. Die Erzählerin trägt in dem Moment das verfremdende Kleid, in dem sie ihren Namen und damit ihre Identität vergisst („Dann zog ich mein Reisemesser aus der Tasche und suchte nach einem unbeschriebenen Blatt. Als ich es endlich gefunden hatte, hatte ich vergessen, wessen Namen ich schreiben wollte“, S. 132). Realität und Fiktion verschwimmen zusehend, sodass sich der Einzelne am Ende fremd gegenüber steht und dann versichert: „Aber es ist nichts erlogen, ich habe alles ehrlich erfunden, …“ (S. 135).

Das Bild der Lebensreise ruft Assoziationen nach Wahrnehmung und Orientierung in der Welt (wie das Schiff auf dem Meer) hervor. Dabei ist die Tendenz deutlich, dass die Erzählerin eine recht sinnliche Wahrnehmung vertritt, der in etwa die rationale des Geographen gegenübersteht (er muss nichts mehr sehen, denn er weiß es bereits). Immer wieder wird aber auf einen Orientierungsverlust verwiesen; so in etwa wenn die Erzählerin nach einem Raubüberfall ins Stottern gerät. Im Text selbst schlägt sich das derart nieder, dass der Leser den Eindruck bekommt, die Ich-Erzählerin ‚male‘ (denn sie zeichnet tatsächlich gern) mit ihrer Sprache und nutze damit eine andere Ausdrucksweise, um zu kommunizieren. Sprache verliert damit ihre eigentliche Funktion. Fragen, die hier anknüpften, sind: Stellt sich damit die Autorin selbst in Frage? Symbolisiert das Stottern den Verlust der Seele? Oder referiert es auf eine moderne Sprachskepsis? Denn es verschwindet damit der Sinn von Wörtern. Hat die Erzählerin daher vielleicht mehr begriffen, was sich sprachlich nicht mehr darstellen lässt? Oder ist es ein Resignieren, die Welt mittels Sprache (im Kontext der aktuellen Mediensituation) verstehen zu wollen?

Es scheint aufgrund der hohen Zitatsättigung (so zitiert sich Hoppe auch selbst) die Deutungsmöglichkeit nahe, dass es sich bei Hoppes Roman um postmoderne Literatur handelt. Anstelle der Individualität tritt der Stereotyp als anonymisierte Figur. Traditionelle Bedeutungszusammenhänge können über Sprache nicht mehr hergestellt werden. Sie macht Platz für ein Verwirrspiel, dessen Sinn im Diskontinuum stecken bleibt. So zu sehen an Hoppes sehr offensichtlichen intertextuellen Anspielungen: Der Bezug zum Paratext macht keinen Sinn und lässt keine neue Deutungsebene aufkommen. Daher stellt sich die Frage, ob Hoppe nicht auch das postmoderne Konzept ironisiert. Dies könnte über die verschiedenen Lebenskonzepte im Roman verdeutlicht werden, denen allen eine klare Absage erteilt wird, ohne allerdings etwas Neues zu etablieren. So wenig Hoppes märchenhafte Geschichten in Picknick der Friseure moralisch belehrend waren, so sehr versagen in Pigafetta alle Lebensanweisungen. Der Roman erweist sich als eine Suche nach dem Sinn, aber sie verliert sich, wie die fauligen Kartoffeln auf hoher See, ins Unendliche, ins Regresshafte.

Zitiert nach

Felicitas Hoppe: Pigafetta. Roman. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2000.

Felicitas Hoppe: Auf schnellstem Weg zu den Molukken. In: Die Zeit, Nr. 51, 13.12.2001.

Stefan Neuhaus: Felicitas Hoppe. In: Kritisches Lexikon zu Gegenwartsliteratur. Hg. v. Heinz Ludwig Arnold. München: Text + Kritik 1978ff.

Picknick mit Hintersinn?

Über Hoppes Picknick der Friseure

Von Juliane Horn

Hoppes 1996 erschienener Band Picknick der Friseure versammelt zwanzig kleine Geschichten, die in sich sehr komponiert sind und mit Elementen des Märchenhaften spielen. Wirken sie für den Leser aufgrund von Syntax oder ihrer narrativen Strukturen befremdlich, so bilden sie in sich geschlossene Systeme und referieren durch ihre Elemente auf Märchenstrukturen und –symbolik (so tauchen in ihnen etwa die märchentypischen Zahlen 3, 4 oder 7 immer wieder auf, wie etwa im KLG vermerkt wird).

Die Verfremdung der Texte macht es ebenso schwer, die Geschichten inhaltlich zu deuten, sodass mit klassischen Interpretationsansätzen nicht weit in Hoppes Werk vorgedrungen werden kann. So erweist es sich beispielsweise als regressiv, gesellschaftskritische Tendenzen aus den Geschichten herausdeuten zu wollen.

Ein anderer Zugang lässt sich über eine Analyse des Aufbaus und der erzählerischen Instanzen in den Geschichten gewinnen. Die Erzählfiguren wirken fast immer kindlich, sind aber ebenfalls nicht eindeutig zu bestimmen. Fast immer aber handelt es sich um Familiengeschichten in häuslicher Umgebung. Die Figuren sind zumeist über ihre Funktionen benannt und damit anonymisiert. Das verstärkt den Eindruck einer kindlichen Perspektive. Passend zu diesem funktionalisierten Duktus passt, dass die Figuren fast alle kostümiert dargestellt und beschrieben werden. Die deutungsanalytische Frage, die sich daran anschließt, lautet, ob das Kostüm auf eine Gefangenschaft im eigenen Körper, in der eigenen Rolle verweist oder vielmehr einen narrativ-motivischen Fetisch darstellt.

Ebenso auffallend ist die Wortwahl und Satzstruktur von Hoppes Geschichten. Oftmals wird der Leser durch Wortspiele in die Irre geführt; auch klassische Floskeln lenken auf eine falsche Fährte und werden von ihrem ursprünglichen Bedeutungszusammenhang entrückt (obgleich sie nicht ‚leer‘ sind).

Gattungstheoretisch könnte es sich bei diesen Geschichten um eine Art von Skizzen, also Schreibübungen handeln; dafür sprächen die Struktur und die Länge dieser. Ebenso lassen sie an die Form des Capprichios denken. Offen bleibt dabei, ob es einen größeren Zusammenhang zwischen den Geschichten gibt. Offensichtlich tritt er allerdings nicht zu Tage. Es ist überhaupt die Frage, ob Hoppe mit all diesen Geschichten eine Aussage treffen will (explizit, ob sich beispielweise ein psychoanalytischer Zugang als sinnvoll erweist) oder ob sie nicht viel mehr mit Bildern, die zu Motiven werden, spielt. Dann könnte sich der Verdacht erhärten, dass eine Sinnsuche redundant wird; ihre Literatur sich einer postmodernen Perspektive öffnet, die dekonstruiert, ohne zugleich Sinn zu produzieren.

Im Lesezirkel wurden unter anderem die Geschichten Balkon, Sommerverbrecher, Pilger und Am Saum näher betrachtet.

Die Textgrundlage bildete: Felicitas Hoppe: Picknick der Friseure. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1996.

Vgl. auch Stefan Neuhaus: Felicitas Hoppe. In: Kritisches Lexikon zu Gegenwartsliteratur. Hg. v. Heinz Ludwig Arnold. München: Text + Kritik 1978ff.


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